Madam President,
noch einmal ein Versuch, den Apologeten der Todesstrafe den logischen Fehler in ihrer Argumentation aufzuzeigen:
Der A setzt sich betrunken hinter das Steuer seines Autos und verursacht einen Verkehrsunfall, in welchem ein Mensch zu Tode kommt.
Der B beteiligt sich an einer Schlägerei, die in einer Bar nach einem heftigen Streit über Politik, Sport, oder was auch immer ausgebrochen ist, dabei stößt er einen anderen Teilnehmer an dieser Schlägerei so unglücklich gegen eine Tischkante, dass dieser später seinen Kopfverletzungen erliegt.
Die C erwischt, als sie nach Hause kommt, ihren Mann mit der Nachbarin im eigenen Ehebett, rastet aus, rennt in die Küche, schnappt sich ein Messer und ersticht ihren Mann.
Der D vergiftet seinen reichen Onkel, da er weiß, dass er nach dessen Tod sein Vermögen erben wird.
Was haben A, B, C und D gemeinsam? Sie alle haben rechtswidrig einen Menschen getötet.
Wer von ihnen muss dafür ebenfalls sterben? Nur der D.
Vielleicht. Das hängt dann noch von seiner weiteren Persönlichkeit, seinem Vorleben, seiner Beziehung zu seinem Onkel, der genauen Begehung seiner Tat - hat er etwa ein schnell oder ein langsam wirkendes Gift verwendet? - seinen Plänen mit dem Erbe - war er einfach nur gierig, oder unverschuldet in schwerer finanzieller Not? - und zahlreichen anderen Faktoren, sowie letztlich dem "Geschmack" der Jury und deren rein menschlicher Beurteilung all dieser Faktoren ab.
Entscheidend dafür, ob bei seiner Bestrafung die existenzielle Linie zwischen Leben und Tod überschritten wird - ein Schritt, der in seiner Radikalität beispiellos ist - ist in Wahrheit nicht, dass der D einen Menschen getötet hat. Entscheidend dafür sind eher sekundäre bis geringfügige, zur Schwere der objektiven Folge der Tat - dem Tod eines Menschen - wie der Strafe - dem Tod eines Menschen völlig außer Verhältnis stehende Aspekte.
Nur ein Bruchteil derjenigen, die rechtswidrig einen Menschen getötet haben, kommen nach dem Gesetz überhaupt erst für ein Todesurteil in Frage. Und von diesen werden dann wiederum, anhand Kriterien, die im Vergleich zur Schuld, rechtswidrig ein Menschenleben genommen zu haben geradezu geringfügig sind, einige für ein Todesurteil ausgewählt.
Das hat überhaupt nichts mit - in einem Rechtsstaat wie bereits unwidersprochen dargelegt ohnehin unzulässiger - "Abschreckung" zu tun, mit gerechter, weil angemessener Sühne. Das ist sinn-, hilf- und für die Gesellschaft wirkungslose Symbolik.
Bevor man das Prinzip, Straftätern Gleiches mit Gleichem zu vergelten, auf die Spitze treibt, muss man es auf ein solides Fundament stellen. Aus allen Angeklagten, die der rechtswidrigen Tötung eines Menschen überführt sind, erst einige wenige auszusondern, aus denen dann nochmals einige wenige ausgewählt werden, die faktisch stellvertretend für moralische Absolutheiten wie: "Wer rechtswidrig einen Menschen tötet, der hat sein eigenes Recht auf Leben verwirkt!", sterben müssen, hat nichts mit Besonnenheit, Vernunft, Verhältnismäßigkeit und Gerechtigkeit zu tun.
Das ist ein völlig irrationaler Opferkult, und sonst gar nichts.
Daran ändert auch das immer gleiche Wortgewölk von: "Die Todesstrafe ist nicht grausam, sie ist für die schwersten Straftaten gerecht und angemessen, um die Gesellschaft zu schützen!", nichts.
Denn die finale, die einzig absolute Linie, wird bei der Bestrafung ja nicht überschritten, weil ein Mensch getötet wurde, sondern weil man meint, genügend im Vergleich zu dieser gravierenden Folge einer rechtswidrigen Tat geringfügige Kriterien erfüllt zu sehen.
Einem Menschen wurde rechtswidrig sein Leben genommen. Aber ob der Täter dafür sterben muss, entscheidet sich eben nicht danach, sondern anhand eines Kataloges im Vergleich zum Wert des vernichteten Rechtsgutes - dem Leben des Opfers - irrationaler Kleinigkeiten.
Ein solches Vorgehen spricht jedem Bemühen um Verhältnismäßigkeit und Gerechtigkeit Hohn, und ist einer aufgeklärten, rechtsstaatlichen Gesellschaft unwürdig.