Ich verzichte aus optischen Gründen mal darauf, deinen Text in zahlreiche kleine Zitatenhäppchen zu zerlegen, sondern mache anders kenntlich, auf welche der Aussagen und Überlegungen ich mich jeweils beziehe
Der zentrale Unterschied zwischen den von dir beispielhaft genannten Kuriosa und Nomadenidentitäten in den Micronationen ist eben, dass es das eine "Phänomen", sage ich mal, in der Realität gibt, das andere aber nicht. Und ich wage zu behaupten, dass ein Bundespräsident Barack Obama, aller Begeisterung in Deutschland für ihn zum Trotz, für weitaus mehr Befremden sorgen würde, als es seinerzeit die Wahl Ronald Reagans zum US-Präsidenten getan hat.
Wie gesagt geht es ja gar nicht darum, dass Micronationen nicht manchmal "unlogisch" oder "unrealistisch" sein müssen, weil es nicht anders geht: den Präsidenten etwa für vier Jahre zu wählen wäre schlicht Astors Ende, und trotz 135 Mio. virtueller Einwohner wäre ein Kongress mit einer entsprechenden Zahl von Mandaten auch nicht einmal von weiter Ferne realisierbar. Oder dass sie in gewissen Punkten etwas "unlogisch" oder "unrealistisch" sein sollten, weil es ihnen mehr Nutzen als Schaden bringt, bzw. weil ein anderes Vorgehen sogar nachteilig und kontraproduktiv wäre: im Sport z. B. Staaten anderer Karten zu ignorieren würde die Zahl möglicher Gegner stark reduzieren sowie internationale Turniere u. U. unmöglich machen.
Was aber bringen Nomadenidentitäten Astor an Nutzen und Schaden? Die Schadenseite ist recht eindeutig besetzt, es ist wirklich ein krasser Bruch mit jedem Realismus und jeder Glaubwürdigkeit. Beispiele lassen sich in scheinbar unendlicher Zahl finden: wie schon genannt, Barack Obama - oder vielleicht Bill Clinton, den mögen die Deutschen mehrheitlich meines Wissens auch immer noch unheimlich gerne, und er wäre quasi sofort verfügbar - als Bundespräsident? Oder wie wäre es mit Guido Westerwelle als schwedischem Antidiskriminierungsminister? Wenn Bill Clinton Bundespräsident und Hillary somit unsere First Lady würde - oder Hillary als Bundespräsidentin? Warum nicht, viele wünschen sich seit langem eine Frau in dem Amt, und Schwan, Schipanski oder Ranke-Heinemann können ihr mal wirklich überhaupt nicht das Wasser reichen! - und sich dagegen entschiede, gleichzeitig US-Außenministerin zu bleiben - könnte sie im Universum unserer Beispiele natürlich, aber vielleicht würde ihr das doch zuviel - bräuchte Obama jemanden neues für den Job: Nelson Mandela wäre doch geradezu prädestiniert! Amerikas erster schwarzer Präsident, geboren noch vor den Bürgerrechtsgesetzen der 1960-er Jahre, seine Eltern heirateten und lebten in Hawaii, weil es einer von wenigen Staaten war, die Ehen zwischen Weißen und Schwarzen damals überhaupt erlaubten, und Südafrikas erster schwarzer Präsident, nachdem er als Kämpfer gegen die Apartheid 27 Jahre in Haft verbracht hatte - was für ein Dreamteam!
Die Vorstellungen findet ihr absurd oder bescheuert, bestenfalls gelungene Satire, aber bei aller Sympahtie für die genannten Personen (ausgenommen Westerwelle vielleicht) doch nicht ernsthaft machbar oder wünschenswert? Braucht Astor darum nicht vielleicht auch einen wirklich guten Grund, bei so etwas mitzumachen? Damit wären wir bei der Frage nach der Nutzenseite.
Die hier genannten Argumente für Nomadenidentiäten beziehen sich stets nur auf deren Spieler: sie haben doch schließlich das Recht, ihre langjährig entwickelten und liebgewonnenen Identitäten auch in Astor einzusetzen, wenn sie das wollen, außerdem sei eine solche Stabilität ja lobenswert und beipsielgebend für Leute, die sich im Halbjahrestakt neue Identitäten erschaffen. Aber was ist mit Astor?
Astor bemüht sich auf vielfältige Weise und aufwändig darum, ein realistisches und glaubwürdiges micronationales Abbild der realen USA zu sein. Hat es darin gar keine Rechte und Interessen, darf es nicht vielleicht sagen: bei aller Fantasie und Simulationsfreiheit, wir bemühen uns hier um Realitätsnähe und Glaubwürdigkeit, und gewisse Dinge strapazieren alle notwendige Toleranz und Flexibilität einfach über?
Wie gesagt, ich trete inzwischen bewusst dafür ein, dass Astor sich seines Wesens eben als virtueller Staat, als Staatensimulation, bewusst sein und dieses berücksichtigen muss. Aber es ist eben kein beliebiges politisches Debattierforum, sondern auch ein um Realismus und Ernsthaftigkeit bemühtes micronationales Abbild der realen USA. Gewisse Brüche mit der Realität sind unvermeidlich, ja vielfach sogar notwendig, weil sie das Spiel erst ermöglichen, oder wünschenswert, weil sie die Spielqualität verbessern.
Aber die Frage bleibt: welchen Schaden und welchen Nutzen bringen Nomadenidentiäten Astor? Der Schaden ist dargelegt, sie führen Astor wirklich an die Grenze der Lächerlichkeit, siehe die genannten Beispiele, die es, anders als Schauspieler als US-Präsidenten oder Mr. Universes als Gouverneure, in der Realität eben auch nicht gibt, und die sich dort niemand vorstellen könnte. Der Nutzen für die Spieler von Nomadenidentitäten ist ebenfalls anerkannt. Aber wo ist der Nutzen für Astor? Oder warum hat Astor kein Recht, einen Nutzen auch für sich einzufordern, wenn es Nomadenidentitäten akzeptieren soll?
Es geht wie gesagt nicht darum, dass nicht ein dionischer Einwanderer namens Matt Suchard auch bereits kurz nach seiner Einbürgerung Innenminister soll werden können, nur weil es mal einen dionischen Spitzenpolitiker dieses Namens und über den Avatar vermittelten Aussehens gab.
Hier sähe ich wie gesagt die Möglichkeit eines Kompromisses, unabhängig von der Frage, ob Astor einen solchen einzugehen überhaupt irgendwie verpflichtet ist: da Micronationen kommen und gehen, im Laufe der Zeit mal auf der gleichen und mal auf verschiedenen Karten liegen, zeitweilig eng zusammen oder gegeneinander arbeiten, sich dann quasi aus den Augen verlieren und außerhalb vielleicht der Fußball-WM keinerlei Berührung mehr miteinander haben, sind sozusagen "Doppelgänger" noch ein verkraftbarer Bruch mit der Realität. Astor ist Astor, Dionysos ist Dionysos, und beide haben eben "ihren" Matt Suchard, wobei der astorische Matt Suchard natürlich auch ein Einwanderer aus Dionysos sein kann. Die Absurdität von Nomadenidentitäten tritt erst dann ein, wenn der astorische Matt Suchard ausdrücklich der dionische Matt Suchard sein soll, und dessen Werdegang als Referenz benutzt. Damit sind wir wieder bei Bundespräsidentin Hillary Clinton und US-Außenminister Nelson Mandela.
Es ist bekannt, dass mancher eben lieber mit ein- und derselben Identität Staat um Staat bereist, um dort nacheinander oder gleichzeitig politische Karrieren einzuschlagen, und das manch anderer es auch für eine sympathische und lobenswerte Einstellung hält, sich in den Micronationen stets nur mit einer, einmal geschaffenen Identität, zu bewegen.
Aber was ist eben mit Astor? Muss Astor als um Realismus bemühte Micronation es hinnehmen, wenn sein Innenminister vorher mal Staatspräsident eines anderen Staates war, oder es eines Tages von seinem ehemaligen Präsidenten als nunmehr Außenminister eines anderen Staaten besucht wird? Hat Astor kein Recht zu sagen, das sprenge seinen Rahmen an Fantasie und Flexibilität, und erfordere daher einen auch für Astor nutzenbringenden Grund? Und was ist dieser Grund? Inwiefern steht er im Verhältnis zu der völligen Absurdität, auf die Astor sich einlässt?
Die Frage ist nach wie vor unbeantwortet.