Je mehr Pro-Argumente und Lösungsvorschläge für identifizierte Probleme ich höre, desto weniger überzeugt mich das Konzept einer "Vertretungsgesetzgebung" ehrlich gesagt.
Föderalismus ist die Idee von Vielfalt in der Einheit. Eine Vertretungsgesetzgebung würde, fürchte ich, in Wahrheit bloß Einheitlichkeit produzieren.
Erstens, indem effektiv der Kongress die legislativen Agenden der bundesstaatlichen Parlamente bestimmte: Er beschließt ein Vertretungsgesetz, und zwingt auf diese Weise die Parlamente der Bundesstaaten, sich in der Folge mit dieser Materie zu beschäftigen. Egal, ob diese sie für ihren jeweiligen Bundesstaat schon geregelt haben, und sich nur mit Änderungen gegenüber ihrem geltenden Recht befassen müssen, oder ob sie eine Materie vielleicht bewusst nicht gesetzlich geregelt haben, weil sie eine gesetzliche Regelung in ihrem Bundesstaat gar nicht für nötig oder wünschenswert halten.
Dabei muss man auch bedenken, dass der Kongress mit Berufspolitikern besetzt ist, während die Parlamente der Bundesstaaten in der Regel sog. "Feierabendparlamente" sind, seine Mitglieder ihren dortigen Aufgaben also gar nicht hauptamtlich nachgehen.
In meinem Heimatstaat Laurentiana z. B. ist es Brauch, dass im General Court immer nur ein Thema zu einer Zeit behandelt wird, nicht mehrere parallel zueinander. Das ist auch durchaus sinnvoll so, denn die Parlamentarier in Laurentiana gehen neben ihren Mandaten in der bundesstaatlichen Legislative in der Regel noch anderen Tätigkeiten nach, zu viele Beratungen zur selben Zeit würden schnell zu einer Überlastung führen.
Ist nun der Kongress "fleißig" genug beim Beschluss von Vertretungsgesetzen, was ihm auf Grund seiner Besetzung mit Vollzeitmitgliedern problemlos möglich ist, türmt sich vor den Mitgliedern der bundesstaatlichen Parlamente schnell eine regelrechte Bugwelle von Vertretungsgesetzen auf, die sie gar nicht so schnell abarbeiten können, wie der Kongress ihnen neue schickt. Für eigene gesetzgeberische Initiativen aus den bundesstaatlichen Parlamenten selbst bleibt dabei erst gar kein Raum mehr.
Und zweitens, indem im Wege der Vertretungsgesetzgebung sukzessive auch die Strukturierungen des Rechts der einzelnen Bundesstaaten einander angeglichen bzw. vereinheitlicht würden: Bundesstaat A betrachtet z. B. Alkohol als etwas, das nur hinsichtlich des Kinder- und Jugendschutzes gesetzlicher Regelungen bedarf, Bundesstaat B hingegen als ein gesellschaftliches Problem oder Übel, das grundsätzlich gesetzlich reguliert werden sollte.
Das sind völlig unterschiedliche Herangehensweisen an das Thema, und jede ist auf ihre Weise für den jeweiligen Bundesstaat richtig, weil die dortige Gesellschaft es eben so oder so sieht.
Ein Vertretungsgesetz des Kongresses muss sich jedoch für den einen oder anderen Weg entscheiden, und diktiert den Bundesstaaten damit eine bestimmte Bewertung eines Gesetzgebungsgegenstandes als Teil eines bestimmten Politikfeldes.
Im Ergebnis hat man dann irgendwann in jedem Bundesstaat die gleiche gesetzliche Systematik mit den gleichen Gesetzen, die ggf. nur noch in ihren konkreten Regelungsgehalten mehr oder weniger voneinander differieren. Im Sinne eines gelebten Föderalismus ist das nicht.
Für sinnvoller hielte ich hier einen verstärkten Austausch und Kooperation der Bundesstaaten untereinander - etwa über die National Governors' Conference, deren aktuelle Tätigkeit ich übrigens durchaus kritisch sehe!
Jüngst wurde dort, ohne dass Präsident oder Kongress überhaupt gefragt wurden, mal eben massiv an der Bevölkerungszahl der Vereinigten Staaten gedreht - das kann nicht Sinn und Befugnis dieser Plattform sein! Sehr wohl aber die Beratung darüber, welche Themen in welchem Bundesstaat gesetzlich wie geregelt wurden und warum, welcher Bundesstaat sich darum welchen Themas ebenfalls einmal annehmen möchte, welche Bestimmungen anderer Bundesstaaten für ihn dabei interessant, sinnvoll oder vorbildlich sind usw.
Der Schlüssel für eine Vermehrung der gesetzgeberischen Aktivität der Bundesstaaten liegt für mich im Austausch und der wechselseitigen Beratung dieser untereinander, nicht in einer Rolle des Kongresses als Vorlagengeber.